Samstag, 2. Mai 2015

Interview mit Al Shawash, einem syrischen Flüchtling

Fluchtgeschichten

früher und heute

Am 25. April 2015 luden die „Aktiven Senioren“ zu einer Veranstaltung in den Enzpavillon, die an das Projekt der Fluchtgeschichten nach dem II. Weltkrieg anknüpfte, das bereits im letzten Jahr gemeinsam mit Schülern der Realschule im Aurain aufgearbeitet wurde und letztendlich durch die Herausgabe eines Buches gekrönt wurde.

Die Fluchtgeschichten von damals sollten nun denen des 21. Jahrhunderts gegenüber gestellt werden. Hierzu gab es schon im Vorfeld verschiedene Treffen der Realschüler der 10. Klasse, deren Lehrer und einem Flüchtling der neuesten Zeit.


Passende Musik

Die Veranstaltung wurde eingeleitet mit einem musikalischen Stück „Ich möchte, dass einer mit mir geht“, dargeboten auf dem Flügel von Brigitte De Conink-Seybold. Text und Melodie von Hans Köbler (1964).
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Schülerin eröffnet Fluchtgeschichten

Sarah Tanriver (Schülerin) las nochmals aus den Erinnerungen von Lilli Stickl, die eine genaue Beschreibung der„Umsiedlungs-Geschichte“ ihrer Familie vom ursprünglich russisch-dominierten Bessarabien, wohin viele Deutsche vor 200 Jahren vom Zaren geholt wurden, um das Land zu besiedeln, zurück in den Westen.

Wendt,Stöckle,Schmitt, Kron

In der Eröffnungsrunde erläuterten Claus Stöckle (Direktor der Realschule), Harald Schmitt (Lehrer-nicht Entertainer), Felix Kron (Geschichtslehrer der 10. Klasse) Renate Wendt die Beweggründe
und die Herangehensweise an die Thematik der Fluchtgeschichten
von Menschen, die sich 70 Jahre nach dem II. Weltkrieg gezwungen sehen ihre Heimat zu verlassen und sich auf lebensgefährliche Wege begeben, um Krieg, Tod, Hunger und Perspektivlosigkeit zu entgehen.

Wendt, Kinzler im Gespräch mit Schülern

Im Anschluss wurde im Gespräch mit Elfriede Kinzler, deren unglaublich,dramatischeVertreibungsgeschichte aus Ostpreußen, die sich durch politische Verzögerung und unglückliche Ereignisse schleppend hinzog. Auch diese Geschichte ist in dem Buch „Als wäre es gestern gewesen“ nachzulesen.

Um Flucht und Vertreibung geht es hier

Daraufhin verlas eine andere Schülerin (Monisha Chandrasekar) die Erinnerungen von Franz Springer. Auch er wurde mit seiner Familie aus dem zur Heimat gewordenen Tschechien vertrieben, weil Deutsche von Völkern, denen die deutsche Politik so zugesetzt hatte, nicht mehr geduldet wurden, ganz gleich wie das Zusammenleben vor dem Krieg gewesen ist. Franz Springers Geschichte ist ebenfalls im Buch beschrieben.

Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete jedoch das Interview mit Al Shawash Mohammed, einem 28 jährigen Syrer aus einem kleinen Dorf in der Gegend von Aleppo, der im Oktober 2013 in Deutschland eine vorläufige neue Heimat fand.

Al Shawash Mohammed aus Aleppo
 Al Shawash hat 3 Schwestern und 2 Brüder. Durch den Krieg in Syrien verloren die Männer seiner Familie ihre Arbeit und somit ihre Lebensgrundlage. Aleppo ist nahezu zerstört und Arbeit zur Zukunftssicherung unwahrscheinlich. So beschloss der junge Mann heimlich mit seinem Cousin das Land zu verlassen und im fernen Deutschland sein Glück zu suchen. Er reiste von Syrien in die Türkei, weil dies das einzige Land ist, in das ein Syrer problemlos einreisen kann. Von dort flog er mit seinem Verwandten nach Ägypten und gelangte nach einem 12 stündigen Fußmarsch zu einem Onkel. In Ägypten nahmen die beiden Kontakt zu Schleusern auf. Diese Kontakdaten werden nur mündlich weitergegeben. Sie wanderten über ein Gebiet mit Landminen nach Libyen. Wer dort  von libyschen Soldaten erwischt wird, wird ohne Vorwarnung erschossen. Weil diese Gegend keine Bäume oder Felsen als Schutz bietet, konnten sie nur nachts weiter gehen. Tagsüber haben sie sich versteckt und lebten ständig unter Todesangt. In Libyen mussten sie 5 Monate warten bis es ihnen endlich am 9.10.2013 gelang gemeinsam mit 430 anderen Flüchtlingen auf ein marodes Schiff zu kommen. Am 10.10. wurden sie auf dem offenen Meer beschossen. Wasser drang in das Schiff ein und dieses kenterte. Die meisten Menschen an Bord konnten nicht schwimmen. In einem Wüstenstaat erlernt man solche Fähigkeiten nicht. Al Shawash klammerte sich an den Bootsrand und konnte später einen Rettungsring ergattern. Er sah wie ein Mann einen mitgebrachten Plastikkanister unter seiner Jacke hervorholte, ausbeulte und diesen als Rettungsanker nutzte. Hubschrauber aus Malta und Lampedusa warfen Rettungsringe ab. So konnten viele sich über Wasser halten bis sie gerettet wurden.
Sein Cousin ertrank zusammen mit weiteren 230 Personen, ohne Europa je betreten zu haben.
In Italien haben sich drei junge Männer gemeinsam ein Mobiltelefon gekauft und endlich ihre Familien angerufen. Dort hat sich Al Shawash bis nach Mailand durchgeschlagen, ist in einen Zug gestiegen und wollte noch vor der deutschen Grenze aussteigen um zu Fuß weiter zu gehen.
 Am Bahnsteig standen drei syrische junge Männer ratlos, was sie nun tun sollten. Da fielen sie einem Polizisten auf, der sie fragte, wer sie seien und wohin sie wollten. Sie waren ganz überrascht, dass sie sich bereits in Deutschland befanden. Der Polizist nahm sie mit zur Wache und brachte sie später persönlich mit einer Fahrkarte zum Zug, der sie ins Aufnahmelager nach Karlsruhe bringen sollte. Von dort gelangte Al Shawash schließlich vor drei Monaten nach Bönnigheim, wo er mit drei weiteren Syrern ein Zimmer bewohnt und eine Schule besucht um Deutsch zu lernen.
Der junge Syrer sagt, er habe von Anbeginn seiner Flucht den Tod in Kauf genommen. Es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten:
Deutschland oder Tod. Am meisten vermisse er seine Familie und er hoffe möglichst bald seine Verlobte nachholen zu können.

Wendt, Al Shawash,Üzel, Felix, Monisha, Sarah

Übersetzt wurde das Gespräch von Simon Üzel, einem Landsmann, der bereits seit 1990 in Deutschland lebt und in Bietigheim eine Familie und ein Geschäft hat.

In einer abschließenden Runde von Claus Stöckle und Herr Üzel wurde noch über die Gründung eines Vereins berichtet, der gemeinsam mit Herrn Üzel gegründet werden soll. Einen Namen gibt es schon: SURYOYE

Üzel, Stöckle
Dieser Verein soll nicht nur dem Zweck dienen, syrischen
Neuankömmlingen bei der Bewältigung von Problemen und der Integration zu helfen. Er soll ebenso den Einheimischen die syrische Kultur nahe bringen und die Menschen hinter den Flüchtlings- dramen zeigen.

Schlamelcher hat sich das Mikro erschlawinert

Auf das Angebot noch Fragen zu beantworten meldete sich nur ein mitgebrachter Hund und das Schlusswort übernahm Herr Schlamelcher, der noch berichtete wie er nach seiner Flucht aus Ostpreußen in Bietigheim angekommen ist und ebensolche Sprachprobleme hatte wie Flüchtlinge heute, weil er kein Schwäbisch verstand und heiterte durch seine unkonventionelle Art das schwere Thema am Ende ein bisschen auf.

Wer gerne für den neuen Verein "SUYROYE" spenden möchte, kann sich vorläufig, bis mehr bekannt ist, an die Realschule im Aurain oder die "Aktiven Senioren" wenden.
Die Senioren haben versprochen bei der Vereinsgründung mit Behördengängen etc. zu helfen, da sie ja bereits einer Vereinsgründung Erfahrung haben.

Blick in den Enzpavillon


Als Fazit möchte ich noch auf die Unterschiede der Fluchtgeschichten von damals und heute eingehen, was auch Herr Schlamelcher angesprochen hat. 
Das verbindende Element einer Flucht aus der Heimat ist ja immer dasselbe: Zum einen Todesangst, zum anderen Hunger und Perspektivlosigkeit.

Üzel, Wendt, Wagner, Stöckle,Chamoun,Al Ghait,Kiryakoos,Al Shawash

Ein großer Unterschied besteht jedoch darin, dass viele Deutsche nach dem II. Weltkrieg ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben. Erst wurden ihre Vorfahren von ihren neuen Landesherren geholt, weil diese ihre Versorgung durch Landwirtschaft sichern wollten. Nach dem Krieg wurden sie von den Machthabern dieser Länder aus dem Land gejagt, weil sie stellvertretend für die deutschen Kriegstreiber und all das Leid büßen mussten, das ihre Landsleute in der alten Heimat denen ihrer neuen Heimat zugefügt hatten. Ansonsten wären sie gerne auf ihren Höfen in Pommern, Schlesien oder im Sudetenland geblieben und hätten weiter ihre Felder bestellt. Doch keiner wollte sie dort haben, zumal Polen einfach nach Westen verschoben wurde. Diese Menschen mussten ja schließlich auch irgendwo leben. Für Russland war das die Gelegenheit sein Territorium zu erweitern.
davon abgesehen, dass zwischen Vertreibung und Flucht ein Unterschied besteht, kommen bei den "Neuen Flüchtlingen" sprachliche und kulturelle Probleme hinzu. 
Natürlich waren auch Flüchtlinge aus den Ostprovinzen in den Jahren nach Kriegsende im Westen nicht immer und überall willkommen, schon allein, weil durch die Bombardierungen Wohnraum knapp war. Wo sollten die vielen Menschen wohnen? Die Behörden entschieden, wer zuviele Zimmer hatte und quartierten in bestehende Wohneinheiten Flüchtlinge zwangsweise ein. 
Heute gibt es Menschen, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen würden, aber die Behörden lassen sie nicht(gegen die Vorschriften).
Was die Einheimischen und Zugezogenen damals allerdings vereinte war immerhin die gemeinsame Sprache, wenn auch mit gewissen Unterschieden, und eine gemeinsame Kulturgeschichte inklusive Religion.  Na, ja, wobei die Katholiken die Evangelischen in den ersten Jahren damals auch nicht als gleichwertig betrachteten. Ich erinnere mich gut daran, dass unser Pfarrer es nicht gerne sah, wenn wir uns in der Freizeit zu eng mit protestantischen Kindern anfreundeten. Vermutlich sah er schon in diesem Fall das Abendland in Gefahr. 
Das ist natürlich bei den allermeisten modernen Flüchtlingen vollkommen anders. Sie kommen hierher, verstehen die Menschen aus sprachlichen Gründen nicht und werden oft angefeindet, weil sie eine andere Religion haben.
 Dabei darf nicht vergessen werden, dass unter manchen Flüchtlingen auch die Mentalität vorherrscht, ihre Religion sei die bessere. Wenn man dann noch hört, dass Flüchtlinge sich aus diesem Grund schon gegenseitig aus den Fluchtbooten werfen, dann wird diese ablehnende Haltung gegen radikale Religionsverfechter natürlich untermauert.
Kein kultureller Unterschied wiegt so schwer wie der der Religion.
Wenn jeder Mensch sich damit zurück nehmen  und seine Religion in den rein privaten Bereich verweisen würde, gäbe es diese Probleme nicht. Wenn keiner den anderen mehr fragt an welchen Gott, oder überhaupt, er glaubt, dann sind die Unterschiede gering, weil sie sich nur noch in gewohntem Essen oder Kleidung, die natürlich kein Symbol für eine vermeintlich überlegene Religion sein darf, zeigen. 
Problembewältigung sollte das oberste Prinzip sein, nicht Glaubensfragen!

Eine Zeitzeugin der letzten Kriegstage, Ursula Ziebarth, sagte neulich im Morgenmagazin des ZDF einen ebenso einfachen wie beeindruckenden Satz. "Menschen, vertragt Euch! Gebt dem andern eine Stulle, wenn er eine braucht!"
 Damit ist eigentlich alles gesagt. Bis auf eine Kleinigkeit. Man darf bei aller Hilfe und Nächstenliebe für die Flüchtlinge nicht diejenigen vergessen, die hier aufgewachsen sind. Dieser Fehler darf auf gar keinen Fall gemacht werden. Man muss allen Menschen helfen, die in Not sind, nicht nur jenen mit denen man sich gut in der Presse ablichten lassen kann. Sondern in gleicher Weise auch denen, die schon hier sind und die in die Fänge der Bürokratie geraten sind. Die man leicht übersieht, weil man sie gerne übersieht. Solch ein Verhalten wäre auf fatale Art Wasser auf die Mühlen von Pegida. Wahrscheinlich sollte die deutsche Politik, was die Arbeitswelt, wie Job-Center, Zeitarbeit, Löhne usw., betrifft, endlich neu überdacht werden.

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2392190/Moma-Serie-Letzte-Zeitzeugen#/beitrag/video/2392190/Moma-Serie-Letzte-Zeitzeugen 


Das gemeinsame Projekt der "Aktiven Senioren" mit der Realschule im Aurain zu den Fluchtgeschichten in Buchform:
"Als wäre es gestern gewesen" ist bei den "Aktiven Senioren" erhältlich
http://www.aktive-senioren.org/Impressum.html 

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